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Beispiel eines Bearbeitungsprozesses in einem Sozialamt
13.09.20
Ein Öffentlicher Dienst
Im Corona-Koma?
Aufgeblähter Wasserkopf?
Matriarchat?
Im Mai 2020 möchte ein Bürger dem Amt eine Frage stellen; er möchte wissen, ob er einen bestimmten Antrag stellen darf. Telefonisch ist tagelang niemand im Amt zu erreichen.
Er fragt per E-Mail und erhält drei Lesebestätigungen von drei verschiedenen Damen. Eine Antwort erhält er nicht.
Er fragt per Brief auf Papier und erhält nach fünf Wochen eine positive Antwort von Frau K.
Am 15. Juli stellt er den Antrag, welchen Frau K. bearbeitet und dann zur Weiterbearbeitung an Frau L. weiterleitet.
Frau L. bearbeitet ihn und gibt ihn zur Weiterbearbeitung an Frau M., die den Antrag bearbeitet und an die Chefin Frau S. zur weiteren Bearbeitung leiten will oder wird. Zurzeit ist Frau S. jedoch in Urlaub.
Nun ruht der Antrag auf Papier in einer geschützten Schublade oder dümpelt in einer Computer-Datei.
Jetzt ist September. Frühling und Sommer sind vergangen. Die Dauer der Prozedur hat nun rd. vier Monate gewährt. Im Amt haben bisher sechs Frauen bearbeitet, eine wird wahrscheinlich noch. Werden noch weitere fleißige Damen folgen?
Wann beschließt der Gesetzgeber endlich eine M ä n n e r q u o t e?
Der Antragsteller guckt in die Röhre. Vielleicht landet er in einer Psychiatrie.
21. September 2020
Des Antragsstellers Hirn vibriert.
Doch bis jetzt ist nix passiert.
Werden sich die Damen regen?
Oder weiter ihre Ruhe pflegen?
25, September 2020
Zunächst diese Hintergrundinformation: „Der Antragsteller ist schwerstbehindert, Pflegegrad 5. Das Sozialamt hatte vor Kurzem mit eigenem Gutachten festgestellt, dass der Betroffene aufgrund seiner multiplen schweren Behinderungen 24 Stunden pro Tag überwacht werden muss. Er beantragt die Geldleistung PERSÖNLICHES BUDGET, auf die ein Rechtsanspruch besteht. Sein Ziel ist, zwei Pflegekräfte, eine in Vollzeit, eine weitere als Halbzeitkraft als Angestellte mit Arbeitsvertrag einstellen und bezahlen zu können.“
Nachdem sieben Damen des Sozialamts Blicke auf den Antrag geworfen hatten, kam nun Herr B. – also ein Mitarbeiter männlichen Geschlechts hinzu.
„Wunderbar und fabelhaft (fabelwunder)!“, rief der Antragsteller aus. „Endlich ein Mann! Jetzt kommt Schwung in die Sache!“
Und tatsächlich, am 25.09.20 flatterte dem Antragsteller der schriftliche Bescheid ins Haus. Der Antrag wurde bewilligt. Beim ersten Blick auf das amtliche Papier hätte der Hilfesuchende einen Freudentanz aufgeführt, wenn er dazu körperlich in der Lage gewesen wäre. Ersatzweise grinste er sichtbar.
Doch dann durchfuhr ihn ein knallharter Schock, denn seine Augen erkannten den monatlichen Betrag des ihm gewährten Persönlichen Budgets - € 1.776,90. (Frappierend sind hierbei die großzügig bewilligten 90 Cent.)
Das ist ein Entgelt für höchstens eine Halbzeitstelle.
Der Betroffene, der nun betroffen dreinschaut, wird flugs Widerspruch einlegen.
Auch diese ansonsten freundliche und friedfertige Haustigerin zeigt empört und wütend die Zähne.
Fortsetzung folgt.
Nun ist der 16. Februar 2021. Endlich folgt hier die Fortsetzung.
Die amtlich bestellten Betreuer des körperlich und geistig Schwerstbehinderten zogen es vor, zunächst einen schriftlichen Widerspruch zu vermeiden, denn die Bearbeitung eines solchen durch mindestens sieben Damen hätte sich möglicherweise bis zu einem Jahr in die Länge gezogen.
Es gelang den Betreuern mittels zahlloser E-Mails – telefonisch war ja nichts zu machen – einen Termin für ein persönliches Gespräch mit den zuständigen Personen des Sozialamts zu vereinbaren.
Dieses Gespräch fand dann tatsächlich am 5. Oktober 2020 in einem Saal des Amtes statt. Den Betreuern saßen fünf freundlich und sachlich wirkende Damen gegenüber, die den Wünschen und Argumenten der Antragsteller sogar geduldig Gehör schenkten.
Die Hilfesuchenden erläuterten ihr Kernanliegen: „Der Betrag des bewilligten Persönlichen Budgets ist viel zu niedrig und muss drastisch erhöht werden.“ Begründung: „Mit monatlich brutto €1.776,90 ist keine Pflegeassistenz zu finden. Damit lockt man niemanden hinter dem Ofen hervor. Einer Pflegekraft ein solch niedriges Entgelt anzubieten, ist auch unzumutbar, unrealistisch sowie weltfremd.“
Anmerkung: In den Medien und von Politiker*innen ist seit Langem häufig zu lesen und zu hören, Pflegekräfte seien sehr schlecht bezahlt, müssten erheblich mehr Geld kriegen. In die Tat umgesetzt wird allerdings nichts.
Die fünf Damen erklärten Gesetze und Vorschriften, die sie in dieser Sache berücksichtigen müssen. Dies war den Antragstellern jedoch größtenteils nichts Neues. Die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen legen fest, wer und auf welcher Grundlage ein Hilfesuchender Anspruch auf ein Persönliches Budget hat. Einen Paragraphen, der einen monatlichen Betrag nennt, kam nicht zur Sprache – gibt es wohl nicht. Die Sachbereiterinnen gaben an, dass sie bei der Berechnung einen Stundenlohn für eine Assistenz von € 11,21 zugrunde gelegt hatten. Teilweise ließen sie selbst anklingen, dass eine derartige Bezahlung zumindest unangemessen ist. Sie versprachen, sich mit der Sozialagentur des Bundeslandes in Verbindung zu setzen. Sie seien lediglich die Zuarbeiterinnen dieser Behörde, die schließlich die Höhe des Entgelts für die Assistenz festsetze und das Geld zur Verfügung stelle.
Es ist allerdings verwunderlich, dass aller Schriftverkehr und jegliche Verhandlungen zwischen dem örtlichen Sozialamt und dem Antragsteller stattfinden. Auch Bescheide über Bewilligung oder Ablehnung eines Antrags kommen vom Sozialamt.
Konkretes Ergebnis des Gesprächs: Das Sozialamt wird mit der Sozialagentur über die Höhe des Persönlichen Budgets verhandeln und den Betreuern das Resultat bald mitteilen. Den Betreuern war „bald“ zu vage. Sie setzten eine Frist. „Wenn innerhalb von zwei Wochen kein Bescheid über ein erhöhtes Budget erstellt ist, reichen wir einen offiziellen schriftlichen Widerspruch ein, wenden uns auch an den Landrat und machen das Ganze öffentlich in diversen Medien.“
Das Gespräch endete in angenehmer Atmosphäre.
Nach exakt 14 Tagen geschah ein Wunder. Der Antragsteller erhielt Post. Der alte Bewilligungsbescheid mit dem mickrigen finanziellen Betrag wurde aufgehoben. Gleichzeitig war ein neuer Bescheid erstellt worden, mit dem das Budget um rd. € 1.000,-- erhöht wurde; es betrug nun € 2.785,88 pro Monat. Der Bescheid beinhaltete u. a., es bestehe Anspruch auf Pflegeassistenz mit einer 1,54 Vollzeitstelle. Daraufhin verzichtete der Antragsteller auf einen formellen Widerspruch, dessen Bearbeitung ohnehin diverse Monate gedauert hätte. Er errechnete, dass er mit dem neu bewilligten Budget eine Vollzeitstelle mit einem Stundenlohn von € 14,-- bezahlen könne. Die vom Amt zusätzlich genannte 0,54-Stelle war jedoch nicht bezahlbar.
Sodann strebten die Betreuer des Antragstellers permanent und hartnäckig danach, eine geeignete Pflegekraft zu finden. Sie investierten € 530,-- in Zeitungs-Stellenanzeigen, schalteten auch die Vermittlung der zuständigen Agentur für Arbeit ein. Misserfolg reihte sich an Misserfolg.
Leider schien sich möglicherweise ein Vorurteil in Realität umzusetzen: Arbeitnehmer*innen befürchten, die Arbeitsagentur vermittelt nur äußerst miese Stellen; Arbeitgeber*innen erwarten von der Arbeitsagentur nur Vorschläge, völlig ungeeignetes Personal einzustellen.
Doch endlich – wie durch mysteriöse Zauberkunst – führte die energisch angewandte Zielstrebigkeit der Betreuer zum Erfolg. Eine fachlich kompetente und persönlich geeignete Dame bewarb sich auf ein Zeitungsinserat. Seit dem 28.12.2020 ist sie engagiert als Persönliche Assistentin des schwerstbehinderten Betreuten tätig.
Es bleibt noch eine 0,54 Arbeitsstelle offen, denn der Angestellten stehen ja zu: zwei Tage pro Woche frei, Urlaub; sie könnte auch mal krank sein.
Doch der Betreute sowie seine Betreuer*in sind bescheiden und meinen am Schluss dieses Berichts: „Friede, Freude, Eierkuchen.